Mit KI der Arthritis auf der Spur
Der World Arthritis Day am 12. Oktober lenkt Aufmerksamkeit auf diese weit verbreitete Gruppe von Krankheiten und die Forschung an neuen Ansätzen für Vorbeugung und Therapie.
Rheumatische Erkrankungen bilden eine weit verbreitete Familie von Krankheiten, die unter anderem rheumatoide Arthritis und Arthrose umfasst. Zwischen 50 und 70 Prozent der Bevölkerung leiden an Arthrose, einer degenerativen Gelenkserkrankung aufgrund abgenutzter oder geschädigter Knorpel und Knochen im Gelenk. Ein bis zwei Prozent leiden an rheumatoider Arthritis, einer chronisch entzündlichen Autoimmunerkrankung der Gelenke.
Das Ludwig Boltzmann Institut für Arthritis und Rehabilitation erforscht neue Zugänge für Therapien für diese Krankheiten. An sieben Standorten in Österreich und in Partnerschaft mit der Pensionsversicherung Österreich und der Österreichische Gesundheitskasse verfolgt das Institut eine Vielzahl an Ansätzen für eine verbesserte Behandlung und Vorbeugung von rheumatischen Erkrankungen.
Michael Bonelli ist einer der leitenden Forscher:innen des Instituts. Er und sein Team erforschen am Institutsstandort an der Medizinische Universität Wien, welche Rolle das Immunsystem bei rheumatoider Arthritis spielt und wie sich daraus neue Therapieansätze ableiten lassen. Dazu nutzen sie unter anderem künstliche Intelligenz, um Daten über Immunzellen schneller zu erfassen und zu verarbeiten.
Entzündliches Immunsystem
Bonelli und sein Team sind besonders am Zusammenspiel der T-Zellen des Immunsystems und speziellen Zellen namens Fibroblasten in Gelenksmembranen interessiert. Die verschiedenen Arten von T-Zellen können die Reaktion des Immunsystems gegen eingedrungene Keime oder andere störende Einflüsse anfachen und auch wieder regulieren. Doch wenn sie zu stark reagieren, können sie chronische Entzündungen durch Autoimmunreaktionen erzeugen.
Forschungsergebnisse der letzten Jahre deuteten darauf hin, dass die Interaktionen der T-Zellen mit den Fibroblasten Einfluss auf die Immunreaktion in den Gelenken hat, was zur Bildung von rheumatoider Arthritis beitragen könnte.
Doch um diese Zusammenhänge und die Reaktion dieser Zellen auf Medikamente zu testen, braucht es eine Vielzahl an Versuche, die genau ausgewertet werden müssen. Hier kommen neue KI-Technologien in Spiel, die den Forscher:innen dabei helfen.
Automatisierte Auswertung
“Mit unserer Kollaboration mit dem Ludwig Boltzmann Institut für Arthritis und Rehabilitation versuchen wir, das menschliche Gelenk in Zellkulturen nachzubauen“, erklärt Bonelli. „Dabei nutzen wir künstliche Intelligenz, um die Interaktionen der Zellen in den Kulturen und deren Auswirkungen auf Entzündungen besser zu verstehen.“
Mit ihrer Partnerorganisation, dem CeMM Forschungsinstitut, entwickelten die Forscher:innen einen Algorithmus zur automatisierten Bildanalysen mit besonders hohem Durchsatz. Dazu züchten sie in Petrischalen die Zellen, die zuvor den Gelenken von Patient:innen mit rheumatoider Arthritis entnommenen wurden. Die Wissenschafter:innen können verschiedene Experimente mit diesen Zellkulturen durchführen und machen dabei eine Unzahl von Mikroskop-Aufnahmen der Zellen.
Das KI-System wurde darauf trainiert, die verschiedenen Zelltypen in Gelenken – wie die T-Zellen und Fibroblasten – und deren Interaktionen zu erkennen. „Mit der automatisierten Auswertung dieser enormen Menge an Bildern können wir bessere statistische Auswertungen über die Vorgänge in den Zellkulturen machen“, so Bonelli.
„Eine Studie dazu konnten wir bereits in Zusammenarbeit mit dem Ludwig Boltzmann Institut publizieren, in der wir gezeigt haben, dass Fibroblasten vermehrt mit T-Zellen kommunizieren“, erklärt Bonelli. „Derzeit sind wir dabei, dieses Modell über die T-Zellen hinaus zu erweitern und auch verschiedene medikamentöse Strategien zu testen.“
Denn anstatt verschiedene Medikamente an den Patient:innen selbst zu testen, können die Forscher:innen durch diese Methode Arzneimittel an den Zellkulturen ausprobieren und deren Effekte besser auswerten. Das langfristige Ziel ist es, mittels dieser Technologie als Teil einer personalisierten medizinischen Behandlung herauszufinden, auf welche Medikamente einzelne Patient:innen am besten ansprechen.
„Unser Hauptantrieb sind unsere Patientinnen und Patienten“, fasst Bonelli die Motivation seines Teams zusammen. „Wir möchten verstehen, wie es überhaupt zu diesen Entzündungen in Gelenken kommt und wie das mit Abnützung und Arthrose zusammenspielt. Daraus möchten wir dann ableiten, wie wir dem vorbeugen und diese Erkrankungen behandeln können.“
Vorbeugung von Arthrose
Neben Forschung an chronisch entzündlichen Erkrankungen der Gelenke, wie Bonelli sie betreibt, ist das Ludwig Boltzmann Institut für Arthritis und Rehabilitation unter anderem auch bei der Vorsorge gegen die Abnutzung der Gelenke, der Arthrose, engagiert. Insbesondere wollen die Forscher:innen herausfinden, wie sich diese Krankheit frühzeitig erkennen lässt. Bisher ist das nämlich noch nicht eindeutig möglich.
Dazu unterhält das Institut das Arthroseregister, in dem eine Vielzahl an Daten österreichweit gesammelt werden. Es erfasst die Krankheitsverläufe von über 1.500 Arthrosepatient:innen zusammen mit deren Therapien, weiteren Erkrankungen und soziodemografischen Daten. Das Register enthält auch Informationen über Gewebeproben, die den Patient:innen entnommen wurden.
Ziel ist es, die gesundheitlichen und sozialen Faktoren zu identifizieren, die zu Arthrose führen, und herauszufinden, welche Vorbeugemaßnahmen effektiv sind.
„Aufgrund der weiten Verbreitung spielt Arthrose eine wichtige Rolle in der Gesellschaft. Die dadurch entstehenden persönlichen und wirtschaftlichen Auswirkungen durch eingeschränkte Mobilität und Krankenstände sind enorm“, erklärt Bibiane Steinecker, stellvertretende Leiterin des Instituts und selbst Forscherin an der Medizinischen Universität Graz. „Zentral bei der Arbeit an unserem Institut ist die enge Verknüpfung von Grundlagenforschung und Anwendung in Zusammenarbeit mit verschiedenen Patientenorganisationen in ganz Österreich.“
Tanja Stamm, Leiterin des Ludwig Boltzmann Institut und Wissenschafterin an der Medizinischen Universität Wien, fügt hinzu. „Die evidenzbasierte Medizin und die Auswertung medizinischer Daten werden immer wichtiger. Wir möchten vernetzte Datensätze zwischen den verschiedenen Forschungseinrichtungen in Österreich und auch international kreieren, um ein möglichst umfassendes Bild dieser Krankheiten zu bekommen. Ohne unsere vielen Partnerorganisationen könnten wir diese Forschung nicht betreiben.“
Bonelli fügt abschließend hinzu: „Enorm viele Menschen leiden an verschiedenen Formen rheumatologischer Erkrankungen. Jeder und jede von uns kennt wahrscheinlich jemanden, ist selbst davon betroffen oder wird betroffen sein. Daher ist der World Arthritis Day eine sehr gute Gelegenheit, Aufmerksamkeit auf dieses wichtige Thema und die Forschung daran zu lenken.“
Zu den Personen
Michael Bonelli ist Associate Professor und Rheumatologe an der Abteilung für Rheumatologie der Medizinischen Universität Wien. Dort studierte er auch Medizin und absolvierte seine Facharztausbildung, bevor er für ein Forschungsstipendium an das National Institute of Health (NIH) in die USA ging. Nach seiner Rückkehr wurde er Associate Professor an der Medizinischen Universität Wien. Er ist Principal Investigator am Ludwig Boltzmann Institut für Arthrose und Rehabilitation.
Das Ziel seiner Forschungsgruppe dort ist es, die Bedeutung der T-Zellen des Immunsystems für die Entstehung von Autoimmunerkrankungen wie rheumatoide Arthritis zu verstehen. Er erhielt mehrere Stipendien und Preise des Österreichischen Wissenschaftsfonds und der Österreichischen Nationalbank.
Tanja Stamm ist ordentliche Professorin am und Leiterin des Instituts für Outcomes Research an der Medizinischen Universität Wien und stellvertretende Direktorin des dortigen Center for Medical Statistics, Informatics and Intelligent Systems. Sie ist auch Leiterin des Ludwig Boltzmann Instituts für Arthrose und Rehabilitation.
Ihre Forschungsschwerpunkte liegen in den Bereichen patientenbezogene Ergebnisse, Arthrose, Gesundheit am Arbeitsplatz, Psychometrie, assistive Technologien und die Nutzung von medizinischen Daten.
Bibiane Steinecker ist stellvertretende Leiterin des Ludwig Boltzmann Instituts für Arthrose und Rehabilitation und leitet den Institutsstandort im Rehabililtationzentrum Saalfelden. Sie führt auch die Programmlinie „Klinische Forschung“ des Instituts.
Neben Studien zur Physiologie von Knorpelzellen bei Arthrose liegen ihre klinischen Forschungsinteressen im Bereich der Rehabilitation mit dem Ziel der Outcome-Forschung und Studien zur Nachhaltigkeit von individuellen Rehabilitationsprogrammen, die in enger Zusammenarbeit mit der Österreichischen Pensionsversicherung durchgeführt werden.